WER WIR SIND

Interview mit dem Leiter des Nestwerks über Sinn und Zweck, Woher und Wohin des Nestwerk e.V. und zur Person

Michael Ostheimer - gezeichnet von Amira, 7 Jahre - und realiter
 
Was ist das Nestwerk für ein Verein?
Was bietet das Nestwerk Eltern und Kindern an?
Ist das Nestwerk ein konfessioneller Verein?
Steht hinter dem Nestwerk ein Verband?
In welcher Verbindung standen Sie zu Bruder Michael Först?
Sie wurden der Nachfolger von Bruder Michael in dessen Projekt?
Sie waren aucn in der Krankenhausseelsorge tätig?
Was haben Sie für eine Ausbildung?
Was wäre, wenn dem Nestwerk ein Lottogewinn vermacht würde?

 
Herr Ostheimer, Sie haben im Dezember 1999 das Nestwerk mitgegründet. Was ist das für ein Verein?

Das Nestwerk ist ein eingetragener, als gemeinnützig anerkannter Verein in München. Wir sind ein Projekt für schwer kranke Kinder und ihre Familien und setzten so die Arbeit von Bruder Michael Först fort.

 
Was bietet das Nestwerk Eltern und Kindern an?

Wir stehen den Familien von schwer kranken Kindern nach Kräften bei und wollen kostenlose Elternwohnungen anbieten, damit die Eltern in der Nähe ihrer kranken Kinder sein können. Wir sind Gesprächspartner, machen Besuche und wollen an Münchner Kliniken Geschwisterbetreuungen aufbauen. Außerdem geben wir die Zeitschrift "Nestwerk". Umgang mit Krankheit, Trauer und Leben" heraus. Nach Möglichkeit helfen wir auch materiell. Wir tun dies alle ehrenamtlich und kostenlos für die Betroffenen.

 
Das Nestwerk hat offensichtlich christliche Wurzeln. Ist es ein konfessioneller Verein?

Nein. Wichtig ist uns das Bekenntnis zur Menschlichkeit. Ich selbst bin in der katholischen Kirche, eine Mitarbeiterin ist evangelisch, eine andere hegt Sympathie für den Buddhismus, weitere sind agnostisch oder esoterisch eingestellt, ein Freund des Vereins ist Muslim. Wir treffen uns alle in der Praxis der Leidminderung für die Menschen in Not.

So wie der Mitarbeiterkreis des Nestwerks Meinungs- und Religionsfreiheit für sich findet, gilt dies natürlich auch für die Eltern und Kinder. Niemand wird bei uns missioniert oder bevormundet. Ganz im Gegenteil: Die leidgeprüften Eltern sollen bei uns aufatmen können und keinem weiteren Druck oder Zwang ausgesetzt werden - auch nicht subtil. Sie sind diejenigen, die in Not sind. Auf sie wollen wir uns einstellen und schauen, wo und wie wir auf eine gute Art helfen können.

Es stimmt, das Nestwerk wurzelt im Christlichen. Nach unserem Verständnis zielt das Wesen des Christlichen aber nicht auf konfessionelle Abgrenzung, sondern auf den Menschen an sich hin. Den Weg der Suche nach Gott oder dem Göttlichen kann nur jeder selbstverantwortlich für sich beschreiten, wobei es immer wieder erstaunlich ist, wie sehr wir uns in den Erfahrungen - gerade auch in den religiösen - des jeweils anderen wiederfinden.

 
Steht hinter dem Nestwerk ein Verband?

Um das Nestwerk spendenfähig zu machen, mussten wir uns nach dem bayerischen Gesetz einem der großen Wohlfahrtsverbände anschließen. Wir wählten den Caritasverband, bei dem wir autonomes, assoziiertes Mitglied sind.

 
Sie sprachen eingangs von Bruder Michael Först. Wer war dieser Mann und in welcher Verbindung standen sie zu ihm?

Michael war ein ganz besonderer Mensch. Durch einen Freund meines Bruders lernte ich ihn Ende 1984 kennen. Damals war er im Harlachinger Krankenhaus und in einer Münchner Kinderklinik als Seelsorger tätig. Ich suchte damals im Rahmen meines Theologiestudiums einen Platz für ein Krankenhauspraktikum. Sogleich nahm er mich bei sich auf, ich hatte nämlich noch kein Zimmer in München gefunden. So wurde ich sein erster Praktikant, als er 1985 mit seinem Elternprojekt begann und half ihm unter anderem bei der Renovierung der ersten Elternwohnung.

Wir wurden gute Freunde, und ich hielt auch später den Kontakt zu ihm. Als er Mitte 1997 schwer erkrankte, erfüllte ich ihm einen schon mehrfach geäußerten Wunsch und stieg ab September voll in sein Projekt Omnibus ein. Ich war unter anderem für den Schriftverkehr zuständig und erstellte eine Broschüre über das Projekt und die Zeitschrift "Nachtstern" mit Texten zu Trauer und Leid.

Michael hatte durch seine Krankheit einen schweren Weg zu gehen, ehe er am 7. Mai 1998 starb. Wir kamen uns sehr nahe in diesen letzten Monaten.

 
Sie wurden dann der Nachfolger von Bruder Michael in dessen Projekt?

Ja. Vor seinem Tod wollte er unbedingt noch die Zukunft seines Projekts sichern. Er wünschte mich als seinen Nachfolger und dass sein Projekt Omnibus zukünftig unabhängig von der Bayerischen Franziskanerprovinz geführt werden sollte. Der Orden gab seine Zusage, niemand zweifelte an der Aufrichtigkeit des Versprechens, das vor Zeugen dem Todkranken und uns gegeben wurde. Meine Nachfolge duldete der Orden dann aber nur 13 Monate, bis hinter dem Rücken der Mitarbeiter ein Pater als neuer Leiter eingesetzt wurde. Die Zusage der Unabhängigkeit widerrief der Orden kurzerhand. So habe ich mit Müttern, Freunden und Mitarbeiterinnen materiell nochmals bei Null angefangen und diesen Verein gegründet.

 
Sie haben während der Leitung des alten Projekts auch in der Krankenhausseelsorge gearbeitet?

Ja, ich war mit Gesprächsseelsorge, Klinikgottesdiensten und Tauffeiern auch in der Klinikseelsorge tätig. Bereits meine Diplomarbeit behandelte das Thema "Sterben, Tod, Trauer und ihre Begleitung". Diese Themen waren für mich durch Todesfälle in der Familie schon früh akut geworden.

 
Was haben Sie denn für eine Ausbildung?

In Tübingen und München hatte ich Theologie und Geschichte und etwas Psychologie studiert und dann mit dem Theologie-Diplom abgeschlossen. Als ich nach dem Tod von Bruder Michael sein Nachfolger wurde, habe ich mein Freiburger Zweitstudium zum Staatsexamen in Theologie und Geschichte kurz vor dem Abschluss abgebrochen. Ich wollte mich ganz dem Projekt widmen können. Später habe ich in München noch das Aufbaustudium der Erwachsenenpädagogik gemacht und beim Hospiz Da-Sein e.V. die Schulung zum Hospizhelfer.
Ich habe mir im Studium Zeit gegeben und auch in andere Fächer hineingeschaut, auch immer wieder unterbrochen, um lange Radreisen zu unternehmen. So habe ich die Landschaften, die Kultur und die Menschen des südlichen Europas, des Nahen Ostens und des Maghreb besser kennengelernt, nicht zuletzt aber auch mich selbst. Die Wüstenerfahrungen in Nordafrika, Syrien und Jordanien möchte ich nicht missen, sie haben mir viel gegeben.

Mein Studium habe ich überwiegend selbst finanziert, was den Vorteil hatte, dass ich viele Berufszweige von innen kennen lernte, und so auch die unterschiedlichsten Menschen. Der gefährliche, da blind machende Elfenbeinturm mancher Theologen blieb mir erspart.

 
Was wäre, wenn jemand dem Nestwerk einen Lottogewinn vermachen würde und Sie plötzlich finanziell unabhängig Ihre Träume verwirklichen könnten?

Mal so richtig träumen? Gut: Zunächst würden wir ausreichend Elternwohnungen mieten, die ja das Zentrum des Nestwerk bilden sollen. Wir würden Rücklagen für Familienhilfen bilden und für die Münchner Kliniken ein Sieben-Tage-Betreuungsangebot für Geschwisterkinder finanzieren. Außerdem steht ein Eltern-Café als Plattform für Austausch und Kontakt auf der Wunschliste, Dauerwohnungen für chronisch Kranke und ein Erholungsbauernhof auf dem Land. Nicht zuletzt schweben uns auch Veranstaltungen und Veröffentlichungen von Büchern und CDs vor, die das Erfahrene reflektieren und anderen weiterhelfen könnten.

Natürlich bräuchten wir für diese Pläne professionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich liebevoll dem Dienst am Nächsten widmen. So könnte auch das religiöse Moment wieder als etwas erfahren werden, das Kraft gibt und Ängste nimmt. Die Folge religiöser Erfahrung ist doch ein liebevoller Umgang mit der Welt und allem Lebendigen. Daran, glaube ich, muss sich jede Gotteserfahrung in ihrer Glaubwürdigkeit messen lassen.

 
 
Die Laubblätter der Toten aus dem Allerseelengottesdienst 2000 in der Kapelle des Deutschen Herzzentrums München, der von Michael Ostheimer mit Schwester Mirjam Riesbeck gestaltet wurde.
 

Die Fragen stellte im Mai 2002 Julia Kleine. Aktualisiert von Robert Schindler im März 2004.

 
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